100 Jahre Aluminiumerzeugung in Deutschland - das vergessene Jubiläum ...

Am 15. Dezember 1915 wurde in Deutschland mit der industriemäßigen Erzeugung des Leichtmetalls Aluminium im Schmelzflussverfahren begonnen.

Man sollte meinen, dass dies Anlass für eine Ausstellung bieten müsste, doch nirgends hat man etwas auf die Beine gestellt. Das ist schade, denn die Materie ist historisch (insbesondere auch technikhistorisch) höchst interessant.

Darum habe ich mich entschlossen, auf dieser Website einige interessante Stücke aus meiner in Jahren zusammengetragenen Aluminiumsammlung zu zeigen.*

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Die folgende Chronik bietet eine grobe Skizze zum Werdegang der "verspäteten Aluminiumnation" Deutschland seit 1915.

Chronik zur Geschichte der Aluminiumerzeugung im Schmelz- flussverfahren in Deutschland seit 1915 (wesentliche Etappen)

 

15. Dezember 1915, Rummelsburg bei Berlin, Cöpenicker Chaussee 69: Hier beginnt an jenem Mittwoch die bis heute währende Geschichte der industriemäßigen Erzeugung des Leicht­metalls Aluminium im Schmelzflussverfahren in Deutschland. In einer "Bretterbude" sollen 3.600 Jahrestonnen (Jato) des Leichtmetalls in offenen Elektrolyseöfen (sog. Elektrolysewannen) erzeugt werden.

Anfang 1916, Horrem bei Köln: Eine weitere Aluminiumhütte geht in Betrieb (Ka­pazität 2.400 Jato).

Frühjahr 1916, Bitterfeld: Eine dritte Hütte (Ka­pazität 3.000 Jato) beginnt mit der Metallerzeugung.

Diese drei binnen kürzester Frist erstellten Anlagen sollen die materielle Ausstattung der kämpfenden Truppen verbessern. Auftraggeberin ist die auf Betreiben des Deutschen Reichs ins Leben gerufene und als gemeinnützig geltende Zweck- gesellschaft Kriegsmetall AG, der das nötige Geld, das aus Steuermitteln stammt, auf verdecktem Wege vom Reichsschatzamt zugeführt wird.

16. September 1916: Gründung der Erftwerk AG (Sitz unbekannt); wesentliche Aufgabe: Errichtung einer Aluminiumhütte in Grevenbroich am Niederrhein (Kapazität 12.000 Jato), Betriebsaufnahme Ende 1917.

21. April 1917: Gründung der Vereinigte Aluminium-Werke AG (VAW), Sitz Berlin. Die Hütten Rummelsburg, Horrem und Bitterfeld werden in die VAW eingebracht. Wesentliche Aufgaben der Gesellschaft: Errichtung eines Braunkohlenkraftwerks, einer Tonerdefabrik und einer Aluminiumhütte bei dem brandenburgischen Dorf Lauta (Niederlausitz) und Auflage, die Rohstoffe für die Aluminiumerzeugung möglichst im Inland (!) zu gewinnen. Das Lautawerk (Kapazität 24.000 Jato) geht am 17. Oktober 1918 - dreieinhalb Wochen vor Kriegsende - in Betrieb.

27. April 1917: Gründung der Innwerk, Bayerische Aluminium-AG (Sitz München); wesentliche Aufgaben: Errichtung einer Wasserkraftanlage und einer Aluminiumhütte in Töging am Inn (Kapazität 12.000 Jato), Betriebsaufnahme erst Ende Dezember 1924.

Diese drei Zweckgesellschaften entstehen im Rahmen des "Hindenburg-Programms" (mehr zum "Hindenburg-Programm" s. unter Links) und werden vom Deutschen Reich kapitalmäßig dominiert.

Kriegsende 1918: Das Reich steht mit einer kaum bzw. überhaupt nicht konkurrenzfähigen Aluminiumindustrie da - Zukunft ungewiss.

Zwischenkriegszeit und Weltwirtschaftskrise: Die "Bretterbude" Rummelsburg liegt bereits seit dem 9. November 1918 still und wird am 11. September 1919 "auf Abbruch verkauft". Die Hütte Bitterfeld wird am 23. Janaur 1920 verkauft. Die Hütte Horrem wird am 20. Februar 1920 stillgelegt und am 3. Februar 1923 verkauft.

  • Bereits 1918 versucht die VAW im Metallverarbeitungssektor Fuß zu fassen und scheitert kläglich. Im zweiten Anlauf (ab 1921) gelingt ihr dies nachhaltig und mit gutem Erfolg, so dass sie ihre angestammte Rolle als reine Rohmetall- erzeugerin verlässt.
  • Die von der VAW dominierte deutsche Aluminiumindustrie hält sich vor allem durch den Verkauf von Neben- und Abfallprodukten "über Wasser", während der Metallabsatz unstet ist. 
  • Im März 1923 wird die VAW in die neu gegründete reichseigene Holding Vereinigte Industrieunternehmungen AG (VIAG) eingebracht.
  • Die Sicherung einer soliden Bauxitbasis gelingt der VAW (nach einigen Fehlschlägen) erst 1927, wobei sie sich auf Ungarn festlegt. Es wird bis Mai 1945 ihre wichtigste Bezugsquelle für Bauxit bleiben (im Datensatz Al-1 die Abbildung einiger Brocken ungarischen Rohbauxits).

NS-Zeit: Die Nationalsozialisten finden eine unter dem Dach der VAW zusammengefasste, reichseigene Aluminiumindustrie vor und bauen diese massiv aus:

  • 1933 - 1935: Ausbau Lautawerk, Erftwerk und Innwerk;
  • 15. Mai 1936: Baubeginn Nabwerk (Schwandorf-Dachelhofen): Tonerdefabrik, Produktionsaufnahme Anfang 1937;
  • Sommer 1937: Baubeginn Lippewerk (Lünen-Lippolthausen): Tonerdefabrik und Aluminiumhütte, Produktionsaufnahme 1938;
  • 1939: Baubeginn Mattigwerk (Ranshofen bei Braunau am Inn, Österreich) im Rahmen eines "Sofortprogramms": Aluminiumhütte, produktiv ab 1941;
  • 1941 - 1943: Die VAW müht sich im Rahmen eines Reichstreuhandauftrags um den Wiederaufbau der Aluminiumhütte und Tonerdefabrik Zaporizhzia (Ukraine) - und scheitert (militärische Lage);
  • 1942: Baubeginn Drauwerk (Sterntal bei Ptuj, Slowenien) im Rahmen des sog. Ausweichplans Krauch**: Tonerdefabrik und Aluminiumhütte (bis Kriegsende nicht fertiggestellt);
  • 1942: Baubeginn Rottwerk (Pocking, Niederbayern): Spezialwerk für Spreng- und Brandsätze für die Wehrmacht sowie Bau einer Siluminfabrik (bis Kriegsende kommt dort nur eine Umschmelzanlage für Flugzeugwracks in Betrieb);
  • 1940 - 1945: Die VAW gehört zu den größten Nutznießerinnen der NS-Zwangsarbeit. In Ihren Betrieben müssen 20.000 - 30.000 Frauen, Kinder und Männer (darunter Inländer, Juden, Kriegsgefangene, italienische Militärinternierte und KZ-Häftlinge) unter zumeist menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten.

1945 - 1949: Wieder lässt der Krieg eine Industrie zurück, deren Zukunfts- perspektiven ungewiss sind. Die im Ausland bzw. in der späteren DDR liegenden VAW-Werke (Lautawerk, Mattigwerk und Drauwerk) gehen verloren. Ebenso büßt die Gesellschaft durch den Kriegsausgang ihre Tongrube in Guttau (Sachsen) sowie ihre Bauxitförderstätten in Kroatien, Ungarn, Griechenland und Österreich ein. Die Demontage von Werksanlagen in den Westzonen kann die VAW gerade noch verhindern bzw. rückgängig machen (lassen).

Hinweis: Eine ausführliche Darstellung bis etwa hierher (auch zur VAW sowie zur deutschen Aluminiumindustrie insgesamt) in meiner 2012 publizierten Studie (Näheres s. http://www.lit-verlag.de/isbn/3-643-11716-8)

1950 - 2002: Über die Jahrzehnte erfolgt der Niedergang dieser (nun bundeseigenen) Industrie.

  • Durch Fusion von VIAG (Vereinigte Industrieunternehmungen AG) und VEBA (Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks AG) entsteht am 27. September 2000 die E.ON AG, zu der die VAW nun gehört.
  • Am 15. März 2002 verkauft die E.ON AG die VAW aluminium AG (VAW) an den norwegischen Energie- und Metallkonzern Norsk Hydro ASA. Norsk Hydro integriert die VAW, so dass diese als eigenständiges Unternehmen untergeht.
  • Die in Deutschland noch bestehenden ehemaligen VAW-Anlagen betreibt Norsk Hydro seither unter der Firma Hydro Aluminium Deutschland GmbH.

2015: Einhundert Jahre Aluminiumerzeugung in Deutschland

  • Wegen des gewaltigen Energiebedarfs für den "Stromfresser Aluminium" und der hieraus resultierenden Kosten steht der Industriezweig hierzulande auf "wackeligen Beinen".
  • Von den früheren Hütten der VAW ist allein das ehem. Rheinwerk in Neuss (produktiv seit 1962) übrig.
  • Es muss wohl jederzeit mit dem Aus für die Aluminiumerzeugung in Deutschland gerechnet werden.
  • Es geht auch optimistischer: "2015 wird die deutsche Aluminiumindustrie 100 Jahre alt. Das ist ein langes Leben für eine Branche, der man von Anfang an ihre Zukunft abgesprochen hat. Und auch dann sind ihre Tage wahrscheinlich noch nicht gezählt.“ (Luitgard Marschall: Aluminium – Metall der Moderne, 2008, S. 205).

 

*Sollte ein Museum oder eine ähnliche Einrichtung Interesse an der Übernahme der Sammlung haben, bitte ich um Kontaktaufnahme (Kontaktdaten s. Impressum).

 

**"Der Generalbevollmächtigte für Sonderfragen der chemischen Erzeugung beim Beauftragten des Führers für den Vierjahresplan, Prof. Carl Krauch" (kurz Gebechem)